Die Überwindung des Rassismus

04.06.2015 22:24

Das wahre Problem des Rassismus ist der neuzeitliche Materialismus... Die letzte Konsequenz des Materialismus ist die Identifizierung des Menschen mit seiner Leiblichkeit. Die Konsequenz dieser Identifizierung ist der Rassismus. Alle Aussagen über die Eigenschaften des Leiblichen werden auf diese Weise zu Aussagen über den Menschen schlechthin aufgefasst und erlebt. ...

Weil der Leib als das einzig Reale am Menschen gesehen wird, so bleiben nur zwei Möglichkeiten übrig: entweder wird versucht, die „Gleichheit“ aller Menschen dadurch zu retten, dass die objektiv bestehenden und bedeutungsvollen Unterschiedlichkeiten der Leibesarten möglichst heruntergespielt, wenn nicht sogar hinweggeleugnet werden, oder man teilt die Menschen – nicht nur die Leibesarten in Rassen, und dann kann man dem Rassismus nicht entrinnen. ... Jeder wird alles tun wollen, um zu beweisen, dass seine Leiblichkeit die bessere und vorzüglichere ist, um damit die eigenen Vorzüge als Mensch nachzuweisen.

[Es ist aber wichtig, einzusehen,] dass jeder Mensch ein geistig- seelisches Wesen ist und dass er einen Leib hat. ...

In der Perspektive [der Widerverkörperung] ist der jetzige Leib eines Menschen nicht nur seine Hülle, sondern eine Hülle unter vielen, die er im Laufe seiner Entwicklung aufbaut. Die ihm diesmal fremde Leibesart hat er selber in der Vergangenheit getragen oder wird er in der Zukunft noch tragen können. ...

Die Rassen- und Volkszugehörigkeit wird als wesentlich und für die eigene Selbsterfahrung ursächlich nur in dem Maße erlebt, in dem der Einzelne das freie Schaffen des Individuellen, welches über Rassen- und Volkseigenschaften hinausgeht versäumt. ...

Aufgrund des eingeborenen Egoismus will der Mensch sich zuschreiben, was die Natur ihm als Entwicklungsgrundlage zur Verfügung gestellt hat. Indem er sich damit identifiziert und darauf als einen angeborenen Vorzug pocht, versäumt er es, die Aufgabe zu erfüllen, die ihm Rasse und Volk auferlegen. Er rühmt sich dessen, was er ist – von Natur aus ist-, und sieht nicht ein, dass die Würde und die Freiheit des Menschen in dem besteht, was er aus seinen leiblichen und kulturellen Grundlagen erst selber macht. ...

 

Wenn eine gewisse Leiblichkeit besser als eine andere dass jeweils Zeitgemäße ermöglicht, bedeutet dies nicht, dass Menschen, die eine andere Leiblichkeit tragen, das Zeitgemäße sich weniger zu eigen machen können. Man könnte sogar sagen: Derjenige, der gleichsam „von außen“ sich das Zeitgemäße aneignet, wird dazu mehr Kräfte des Freiheitlichen und des Individuellen aufbringen, als derjenige, der vom Leiblichen her von vornherein „dazugehört“. ...

Nur als autonomes Individuum kann der Mensch dasjenige hervorbringen, was jenseits von Rasse und Volk für alle Menschen gilt – und wiederum: Nur das Universelle kann als dasjenige angesehen werden, was ausschließlich auf ganz individuelle Weise geschaffen werden kann. Hierin liegt das Gegenseitige Sich -Bedingen des Ichhaft –Individuellen und des Menschheitlich – Universellen. ...

Es liegt in der besonderen Aufgabe der deutschen Sprache, der deutschen Kultur, nicht eine Geistigkeit hervorzubringen, die sich durch eigene nationale Besonderheiten von der anderer Völker abgrenzt, sondern umgekehrt dasjenige, was gerade dank der Tatsache universell – menschheitlich ist, dass es rein individuell und ichhaft ist. ...

Ein Volk dessen besondere Volksidentität darin besteht, keine zu haben, wie das deutsche, hat es viel schwieriger, zum Volksgenius zu halten. ...
In diesem Volk sind besondere Kräfte vorhanden, die das Abstreifen jedes Rassismus, jedes Nationalismus, ermöglichen und erfordern. ...
Die Lage dieser Menschen ist in dem Sinne schwieriger, dass sie eine zusätzliche, gewaltige Versuchung ständig überwinden müssen, der die anderen Menschen gar nicht ausgesetzt werden können: Die Versuchung, sich von vornherein mit dem zu identifizieren und es als Eigentum und Privileg zu „besitzen“, was alle anderen Menschen erst werden und sich erringen müssen. ... Dieser Versuchung zu erliegen ist die vielleicht abgründigste Form des Nationalismus und des Rassismus. Das 20 Jahrhundert ist von dieser Tragik zutiefst geprägt worden. In allen anderen Völkern kann der Mensch nur Teilaspekte des Menschlichen verabsolutieren. Im [deutschen] Volke dagegen wird durch die nationalistische oder rassistische Gesinnung das Allgemein- Menschliche ins absolute Gegenteil verkehrt. ...

Aus: Pietro Archiati: Die Überwindung des Rassismus durch die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners, Dornach 1997.

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